Normalerweise verhält es sich so, wenn ich am U-Bahnhof Chlodwigplatz auf die Bahn warte: Typisch Murphys Law kommen grundsätzlich immer erst mindestens drei Bahnen aus der Richtung, in die ich fahren will, bevor eine Bahn kommt, die in die Richtung fährt, in die ich will – rein theoretisch ist das gar nicht möglich, es ist aber so. Ich habe das Gefühl, dass die Hälfte des Inhalts meines Lebens darin besteht, an der U-Bahn-Station Chlodwigplatz zu warten. Ich sollte die U-Bahn Godot nennen.

Aber letzten Samstag, als ich mich aufmachte, um meine Eltern in der Pfalz zu besuchen, machten sich die Kölner Verkehrsbetriebe und die Deutsche Bahn gemeinsam dran, es noch schlimmer zu machen und versuchten mit allen Mitteln, mir den Tag zu vermiesen.

Der Sachverhalt: Ich wollte um 16 Uhr in Neustadt ankommen. Dafür gab es zwei Möglichkeiten: Entweder die zweistündige Fahrt mit dem ICE oder die bedeutend billigere Fahrt mit dem EC am Rhein entlang, dreistündig. Also entschied ich mich für die günstigere Fahrt, Abfahrt Kölner Hauptbahnhof um 12.53 Uhr. Da die U-Bahn-Fahrt vom Chlodwigplatz zum Hauptbahnhof ungefähr 12 Minuten dauert und ich zu Fuß 5 Minuten vom Chlodwigplatz wohne, dachte ich, es reiche vollkommen, das Haus um ungefähr 12 Uhr zu verlassen.

Und so geschah es auch. Am Chlodwigplatz gibt es 3 Linien. Die 6, die 15 und die 16. Die 19 gab es auch mal, aber die scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Die 16 fuhr immer zum Hauptbahnhof, tut dies aber nicht mehr, die 15 fuhr noch nie zum Hauptbahnhof. Bleibt nur noch die Linie 6. Ich kam also um 12.07 Uhr an der Station an und stellte fest, dass die verdammte Bahn nur alle 15 Minuten fährt und das letzte Mal um 12.05 Uhr hätte kommen sollen. Da aber die KVB sich grundsätzlich verspätet und ja eine allgemein bekannte Tatsache ist, dass die auf dem Fahrplan angegebene Zeit, die einzige Uhrzeit ist, zu der ein Zug garantiert nicht kommt, hoffte ich, er würde noch kommen.

Also wartete ich die drei Züge aus der Gegenrichtung ab und dann kam ein Zug. Dummerweise Linie 16. Also wartete ich weiter, 12.20 würde die nächste Linie 6 kommen, 12.32 wäre ich dann am Bahnhof, das gäbe mir genug Zeit, mir noch einen Mittagssnack zu holen und gemütlich zum Zug zu schlendern.

Die nächste Bahn die kam war die Linie 15. Wieder nichts. Und dann wurde es 12.20 Uhr. Aber keine Linie 6 weit und breit. Einige Minuten später kam nochmals eine Linie 15, wie das? Und noch einige Minuten später wieder die Linie 16. Schließlich, um 12.32 Uhr, mit 12 Minuten Verspätung – also nachdem ich 25 Minuten auf eine Bahn warten musste, die alle 15 Minuten kommt – fuhr endlich meine Linie ein. Na gut, dann würde es also nichts aus dem Mittagssnack werden, aber wenigstens würde ich nicht meinen Zug verpassen.

Dummerweise wurde die Verspätung der Bahn auf dem Weg zum Hauptbahnhof noch größer, so dass ich erst 5 Minuten vor der Abfahrt meines Zuges am Hauptbahnhof ankam. Also rannte ich zum erstbesten Ticketautomaten, noch vor der großen Ankunftshalle. Mit dessen Tücke hatte ich nicht gerechnet.

Ich hätte mal zählen sollen, um ein Ticket am Automaten zu bestellen, muss man im Schnitt wohl an die 97 Tasten drücken, bei einer Mindestwartezeit von schätzungsweise 7 Minuten.
Vor allen Dingen dauert es schon mal ewig, bis man „Neustadt an der Weinstraße“ eingegeben hat, denn die ganzen Bahnhöfe, die einem bei „N“ und dann „NE“ und dann „NEU“ angeboten werden, kommen nicht mal ansatzweise aus der Pfalz. Nachdem ich dann endlich den Bahnhof eingegeben hatte, als Reisezeit „sofort“ (ein Hohn) und dann noch „1 Erwachsener“, „keine Rückfahrt“, „alle Verkehrsmittel“, „2. Klasse“, „Bahncard“, Bahncard 50″, „Bahncard 50, 2. Klasse“, „ohne Hund“, „Schuhgröße 48“ und „Nein danke, ich habe schon eine Lebensversicherung“ eingegeben hatte und die Uhrzeit rechts unten am Bildschirm unaufhörlich weitertickte, um mich zu informieren, dass mein Zug jetzt nur noch wenige Minuten von seiner Abfahrt entfernt war, informierte mich der Scheißapparat, dass – „jetzt neu!“ – Bezahlung mit Bahncard möglich wäre, sofern ich meine Daten im Online-Portal hinterlegt hätte. Hatte ich ja und ich dachte, ich könne damit Zeit sparen, wenn ich nicht noch lange umständlich meine EC-Karte und den Pin-Code und „bestätigen“ und und und…

„Bitte geben Sie ihr Geburtsdatum ein“, informierte mich der Fahrkartenautomat, nachdem ich ihm meine Bahncard fütterte. „Im Format TT/DD/JJJJ“. Also gab ich 28/02/1974 ein, denn ich bin an dem Tag geboren. Ist übrigens gar nicht so einfach, die richtigen Tasten zu treffen, bei einem langsam reagierenden Touchscreen. „Bitte geben Sie das korrekte Geburtsdatum ein.“, korrigierte mich der Apparat – wie, das korrekte Geburtsdatum? Ich weiß doch wohl genau, wann ich Geburtstag habe. Also noch mal, ganz vorsichtig 28/02/1974, aber wieder „bitte geben Sie das korrekte Geburtsdatum ein“. Und noch ein drittes Mal und ein viertes Mal. Dann: „Sie haben nicht das korrekte Geburtsdatum eingegeben, bitte wenden Sie sich an den Kundendienst 01805-********** (24cent/min).“ … aha … ich soll also der Bahn jetzt Geld zahlen, um sie zu fragen, wann ich denn nun wirklich geboren bin? Mittlerweile war es zwei Minuten vor Abfahrt. Ich gab auf, ich hätte ja noch die Verbindung heraussuchen müssen, Sitzplatzreservierung ja/nein angeben, die EC-Karte lesen lassen, die Pin-Nummer eingeben, die Karten ausdrucken lassen, die bahn.comfort-Bonuspunkte errechnen lassen oder ablehnen und dank Windows-Betriebssystem das alles mit jeweils einer halben Minute Bearbeitungszeit – das konnte ich vergessen.

Also entschloss ich mich, tiefer in die Tasche zu greifen, und den ICE eine Stunde später zu nehmen, dann hätte ich immerhin noch Zeit für einen Mittagssnack und ich würde dennoch nicht später ankommen und ich könnte mir noch in Ruhe eine Sitzplatzreservierung holen und alles gemütlich in den Fahrkartenautomaten eingeben, ich müsste nur verdammt noch mal einiges mehr für die Reise bezahlen.

Dummerweise war keine Sitzplatzreservierung mehr möglich. Na toll, wieder ein Samstag stehend im überfüllten Zug, da freu ich mich schon drauf.

Als ich dann endlich alles bezahlt hatte und mit dem Fahrkartenautomat die innige Beziehung beendete, ging ich in die Haupthalle und erblickte auf der Anzeigetafel, dass der EC für 12.53 noch gar nicht da sei, da er sich wenige Minuten verspäte! Ich hätte ihn also noch locker erreicht! Aber jetzt, da ich schon mal das teurere Ticket hatte, entschloss ich mich dann doch auf den ICE eine Stunde später zu warten und noch Essen zu gehen. Ich würde ja nicht später ankommen, war mein Gedanke – ein Fehler, wie sich später herausstellte.

Aber erst einmal ging ich futtern. Obwohl, ich fand nix! Es war alles überfüllt! Was machen denn so viele Menschen am Kölner Hauptbahnhof? Auch eine Gruppe von lustigen Junggesellinnen-Abschieds-Weibern war wieder da. Ungefähr 20 unglaublich hässliche Frauen, alle in schwarz gekleidet, mit einer weißen Krawatte und einem Roger-Cicero-typischen Hut. Der Sinn dabei blieb einem fremd. Ich finde ja, es gibt nur eine einzige Sache, die noch unlustiger ist als Karneval. Genau, Junggesellinnen-Abschiede. Ja, Junggesellen-Abschiede auch.

Weiter ging die Suche nach etwas Essbarem. Bevor der Kölner Bahnhofsvorplatz umgebaut wurde, gab es da zwei Imbissbuden, die eine mit den weltberühmten Kartoffelpuffern. Die sind jetzt weg, stattdessen ist eine schöne große Treppe und ein großer Platz mit viel Platz da – zugegebenermaßen sieht es tatsächlich viel besser aus als vorher – aber was bringt ein großer Platz, wenn da nix drauf ist? Wie wäre es mit einem großen Platz mit zwei Imbissbuden?

Also schaute ich beim Ausgang auf der anderen Seite nach. Tatsächlich, da war ein „Kartoffel-König“, das muss es doch sein. Bei näherem Hinschauen wurde aber klar, dass der Kartoffel-König nur Bratwürste und Pommes hatte. Keine Kartoffeln. Keine Puffer. Warum heißt er dann Kartoffel-König, verdammt noch mal?

Schließlich fand ich mich bei Pizza-Hut ein, wo mir dann auch prompt ein Schild auffiel, dass mir gefiel: „Hier gilt absolutes Rauchverbot!!! Dies verstößt gegen die Hygienevorschriften der Mitropa GmbH“.

Was? Das Rauchverbot ist gegen die Hygienevorschriften? Also sind Pizza-Hut die Rebellen? Und überall sonst soll im Bahnhof bei der Essenszubereitung bitteschön gepafft werden, was das Zeug hält? Kein Wunder, dass der Mitropa-Kaffee so kacke schmeckt, die mischen da bestimmt Zigarettenasche unter.

Dann fiel mir ein, dass ich doch vielleicht mal meinen Eltern Bescheid sagen sollte, dass ich mit einem anderen Zug ankomme, der nicht am Vorort-Bahnhof halten wird, ich daher am Hauptbahnhof abgeholt werden müsse. Ich schaute auf das Display und sah: „Nur Notruf möglich.“ Na das ist ja wieder mal Köln Weltstadt, kein Handyempfang auf dem Bahnhof.

Endlich war es so weit, ich stieg in den Zug, den ICE um 13.54 Uhr! Jippie! Nanu – er war zum größten Teil leer. Warum hab ich dann keine Reservierung bekommen? Na macht nichts, endlich ging die Fahrt los.

Aber nur kurz. Eine Dreiviertelstunde später blieb der Zug stehen, mitten in einer schrägen Kurve, und der Schaffner informierte uns per Durchsage, dass es einen Verdacht auf einen Erdrutsch vor uns gegeben hätte und die Bundespolizei das erst überprüfen müsse, er würde uns auf dem laufenden halten, die Bundespolizei sei auf dem Weg und es würde eine Verspätung von ca. 10 Minuten geben.

Fünf Minuten später meldete sich der Schaffner wieder und sagte, dass er seine Durchsage noch mal wiederholen wolle und so sagte er brav noch mal dieselben Informationen, alles gleich, bis auf die Länge der Verspätung, nun sagte er, dass es in 15 Minuten weiterginge.

Fünf Minuten später meldete sich der Schaffner wieder und präzisierte seine Durchsage. Ein vorausgegangener Zug hätte den Verdacht gemeldet, dass im vor uns liegenden Tunnel ein Erdrutsch sei, die Bundespolizei müsse nun überprüfen, ob wir die Fahrt überhaupt fortsetzen können, sie würden mit Scheinwerfern den Tunnel durchleuchten und die Verspätung würde ab jetzt noch circa 25 bis 40 Minuten dauern und sobald es neue Informationen gebe, werde er sich wieder melden.

Fünf Minuten später fuhren wir los, nanu? Direkt auf den Tunnel zu. Ohne neue Informationen. Ein lustiges Gefühl, aber wir fuhren nicht direkt in einen Erdrutsch rein, nein, es gab gar keinen Erdrutsch.

Die weitere Fahrt verlief reibungslos, was Erdrutsche angeht, allerdings stieg in Frankfurt ein Mann zu und setzte sich auf meine Höhe auf die Sitzreihe an der anderen Seite. Dann steckte er seine Kopfhörer ins Radioprogramm der Bahn und stellte auf möglichst laut. Gut – das was aus so einem Kopfhörer dringt ist nicht wirklich laut, eine leise Konversation von Fahrgästen drei Reihen weiter ist lauter, allerdings drängen aus diesen Kopfhörern nur leise, mittige, rauschige Frequenzen heraus, ein Geräusch, das mich absolut in den Wahnsinn treibt. Wenn der Typ statt Kopfhörern einen Ghettoblaster auf der Schulter hätte, würde mich das wohl weniger nerven. Es ist, als würde irgendjemand sich neben Dich setzen und mit Flüsterstimme die ganze Zeit singen. Das ist doch noch beängstigender als „The Sixth Sense“.

Jedenfalls hab ich mir ab da vorgenommen, ab jetzt solche Leute einfach anzustarren, bis sie reagieren, und wenn sie reagieren, einfach weiterzustarren, bis sie gehen. Ich dachte, das sei effektiv, also starrte ich los. Nach 10 Minuten des Starrens gab ich auf. Der Kerl hörte ja laut Musik, hatte also überhaupt keinen Anlass, mal zu mir herüberzuschauen und tat es auch nicht.

Also dachte ich mir, vielleicht sollte ich ab jetzt solche Leute konsequent ständig mit kleinen Papierkügelchen bewerfen, bis sie reagieren, und wenn sie reagieren, einfach weiter zu werfen, bis sie gehen. Bevor ich starten konnte, kam dann allerdings eine Durchsage: „Verehrte Fahrgäste, hören Sie kurz zu. Sollte sich unter Ihnen ein Polizeibeamter befinden, kommen sie bitte in den Wagen 26, im vorderen Zugteil.“

Nun gut, ich war zwar nicht im Wagen 26, dennoch lies ich lieber meine Aktion sein. Aber das nächste Mal traue ich mich!

Da wir mittlerweile eine 30-minütige Verspätung hatten, kam erneut eine Durchsage, die bedauerte, welche Anschlusszüge wir nicht erreichen würden, uns aber gleichzeitig mitteilte, dass sie uns leider keine anderen Anschlüsse nennen könne. Aus diesem Grund sei auf der Mitte des Bahnsteigs in Mannheim ein „mobiler Reiseservice“ eingerichtet, der uns kostenfrei kalte und heiße Getränke geben würde und uns über die Anschlussmöglichkeiten informieren würde. So ganz funktionierte die Idee aber nicht, wenn hunderte Zuggäste auf drei einsame Service-Mitarbeiter zustürmen, um Anschlüsse zu erfragen. Das dauert Stunden und die Anschlusszüge sind dann auch weg. Vor allen Dingen wenn weitere hunderte von Fahrgästen, die gar keinen Anschluss brauchen, bei denselben drei Mitarbeitern auftauchen, um kalte und heiße Getränke abzustauben.

Nach Neustadt nahm ich dann die S-Bahn.

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