Nachdem dem Kindesentführer und Mörder Gäfgen vor Gericht ein Schmerzensgeld zugesprochen wurde, weil ein Polizist ihm Folter angedroht hatte, machte sich in Deutschland wieder schnell eine Lynchmob-Mentaltität breit, voller Empörung, wie so etwas sein könne, dass „so einer“ so etwas zugesprochen bekommt. Da liegt aber der fundamentale Denkfehler drin, der unseren Rechtsstaat vom Mittelalter unterscheidet: Ein Unrecht ist ein Unrecht und der Staat bemüht sich, dagegen vorzugehen, egal wem dieses Unrecht widerfährt, egal ob es ein guter Mensch, ein Arschloch oder ein Kindesmörder ist, Recht steht jedem zu. Sollte es zumindest.

Zu einem Rechtsstaat gehört auch, dass Gäfgen für seine Tat vor Gericht gekommen ist und zu einer angemessenen Strafe verurteilt wurde und nicht dem wütenden Mob zum Fraß vorgeworfen wurde. Dennoch würden viele ihm am liebsten auch die Kehle durchschneiden oder zumindest fordern, dass es auch jemand anderes tut. Allen voran die dreckige BILD-Zeitung, die von einem „Schand-Urteil“ spricht und fragt „In was für einem Land leben wir eigentlich?“

Na in einem Rechtsstaat. An den die BILD-Zeitung anscheinend nicht so richtig glaubt. Und sich anmaßt Deutschlands Richter zu sein, denn sie kennen sich mit ihre Hetze ja besser aus, als Richter. Ein Schandurteil wäre etwas ganz anderes, ein Schand-Urteil wäre, wenn Polizisten hier in Deutschland Verdächtigen Folter androhen dürften, ohne dafür Probleme zu bekommen. Da ist auch keine Ausnahme zu machen, auch keinem „dringend Tatverdächtigen“ und auch keinem bereits überführten, darf Folter angedroht werden. Punkt.

Folter ist ja wieder in. Bush und Cheney meinten mit Waterboarding einen „Kampf gegen den Terror“ führen zu müssen, TV-Serien wie „24“ lassen einen glauben, mit Folter Terrorattentate verhindern zu können, aber – wie so alles, was viele Menschen glauben, hat das mit der Wahrheit oft nur wenig zu tun.

Fakt ist: Folter ist ein reines Machtinstrument. Folter führt nicht zu Erfolg, in der Regel ist das Gegenteil der Fall und Folter ist sogar hinderlich. Folter ist kein Ermittlungswerkzeug, kein Recherche-Tool, mit Folter findet man nichts heraus, mit Folter kann man keine Verdächtigen „knacken“, Folter führt nicht dazu, dass der Gefolterte die Informationen rausrückt, Folter führt nur dazu, dass der Gefolterte das sagt, was die Folterer hören wollen. Egal ob es stimmt oder nicht.

Spanische Inquisition? Mit Folter werden Geständnisse erpresst, weil man ein Geständnis braucht, nicht weil man herausfinden will, wie es wirklich war. Folter ist und bleibt ein reines Machtinstrument und hat in einem Rechtsstaat nichts zu suchen. Und wer das nicht versteht, hat ein Rechtsstaat nicht verdient.

Und es gilt immer noch „two wrongs don’t make a right“. Es ist falsch ein Kind zu entführen und zu ermorden und „Androhung von Folter“ ist nahezu nichts im Vergleich, aber es ist nun mal nicht korrekt. Man darf doch nicht was Falsches tun, nur weil jemand anderes was unfassbar Schlimmeres getan hat. Man darf Gäfgen ja auch nicht ungestraft die Fresse polieren. Man darf eben niemand die Fresse polieren (außer der BILD-Zeitung).

Man kann ja verstehen, dass viele wütend sind, dass es so gekommen ist, dass jetzt Gäfgen anscheinend auch noch „belohnt“ wird, da so eine Tat natürlich ein Ohnmacht, eine Wut und einen Hass auslöst. Aber deswegen wurde er ja auch verurteilt. Die Wut sollte sich lieber gegen den Polizisten richten, der mit seiner Folterandrohung Gäfgen überhaupt die Möglichkeit gegeben hat, loszulegen. Evtl. hat der Vorfall im ursprünglichen Gerichtsverfahren der Verteidigung auch ein Werkzeug in die Hand gelegt, ich meine mich zu erinnern, dass das so war. Wurde der Polizist eigentlich vom Dienst suspendiert? Ich hätte nämlich Angst, in einem Land zu leben, in dem Polizisten nicht allerhöchsten moralischen Ansprüchen genügen müssen.

UPDATE: Ich habe mich gerade genauer über die juristischen Aktionen Gäfgens erkundigt und meine Meinung hat sich ein wenig geändert. Selbstverständlich hat Gäfgen das Recht alle juristischen Möglichkeiten auszuschöpfen, jedoch ist seine herangehensweise, auch in Verbindung mit dem Buchdeal und der Stiftung sehr strange und widerwärtig. Auch wurde von Gäfgen unabhängig ein Verfahren gegen die Polizisten wegen der Foltervorwürfe eingeleitet, in dem sie schuldig gesprochen wurden. Das reicht mir eigentlich völlig, um den Glauben in den Rechtsstaat zu behalten.