Nieder mit schlechten Straßenkünstlern!

Normalerweise brauche ich von meiner Wohnung zum Kölner Hauptbahnhof 20 Minuten zu Fuß. Von dort nach Münster brauche ich dann 2 Stunden – mit der Bahn. Gestern brauchte ich aber schon 3 Stunden von meiner Wohnung zum Kölner Hauptbahnhof, denn alle Weihnachtsmärkte Kölns liegen ausgerechnet zwischen meiner Wohnung und dem Hauptbahnhof. Ich endete dann kurz vor der Domplatte, wo mir einfiel, dass ich mittlerweile Straßenkünstler kaum mehr leiden kann.

Ich mein, eigentlich finde ich Straßenkünstler ja toll und ich finde es eine der schwierigsten Kunstformen und habe einen Haufen Respekt davor, aber wann sieht man denn mal noch gute Straßenkünstler heutzutage? Jongleure, Clowns, Musiker?

Es gibt nur noch zwei Arten von Straßenkünstlern. Einmal die Andenmusikanten, die da mit ihren riesigen 500-Watt-Musikanlagen herumstehen, vor sauteuren Mikrofonen und sich zum Vollplayback eine Panflöte an den Mund halten, um nicht nur Geld im Hut zu sammeln, sondern auch CDs von vollkommen anderen Andenmusikern zu verkaufen, die nur ähnlich gekleidet sind und zu deren Playback sie gerade herumstehen.

„Komm, Kind, lass mal die Indianer schauen, darfst ihnen was in den Hut schmeißen!“

Ja, diese sanftmütigen südamerikanischen Hooligans brauchen die Kohle, damit sie sich eine 1000-Watt-Anlage beschaffen können, denn das ist die authentische Art, wie in Chile Musik gemacht wird. Man dreht die Anlage auf und hält sich einen Holzklotz an den Mund und das ganze Dorf kommt zusammen.

Aber das sind eigentlich gar nicht die, über die ich mich am meisten aufrege. Obwohl ich kürzlich auf dem Kölner Dom war und „El Condor Pasa“ hinauf verstärkt von unten sogar das Glockenläuten übertönt hat.

Trotzdem, es gibt etwas, das ist noch schlimmer. Es breitet sich seit Jahren weltweit wie eine Pest aus, verschluckt sogar Andenmusiker und hat absolut alle abweichenden Straßenkünstler aus Köln vertrieben. Das sind die so genannten „Lebenden Objekte“, von denen jeden Tag mindestens 10 vor dem Dom stehen. Was können die? Nun, „Lebende Objekte“ sind Leute, die können herumstehen. Möglichst ohne sich zu bewegen. Kein Scherz, die ziehen sich irgendwas an, zum Beispiel ein Ritterkostüm oder ein Charlie Chaplin-Outfit, steigen auf eine Kiste, damit man sie auch sieht und dann – stehen sie einfach da. Das ist ihre Kunst – nichts zu machen. Sind sie lustig? Nein. Akrobaten? Nein. Machen sie Musik? Nein, auch nicht. Sie stehen nur in der Gegend herum.

„Was machst Du beruflich?“
„Ich stehe rum.“
„Wie bitte?“
„Ich bewege mich nicht.“
„Ach so, Du bist Beamter?“

Jetzt die Frage, warum machen die das nicht so wie in St. Petersburg, da stehen auch überall diese Figuren herum und bewegen sich nicht. Die machen Werbung für das Wachsfigurenkabinett. Aber es sind auch wirklich Puppen! Warum stellt man nicht hier auch einfach Puppen hin, anstatt Menschen? Die können das doch viel besser! Die bewegen sich gar nicht. Die „Lebenden Objekte“ kann man dann ja statt der Puppen ins Wachsfigurenkabinett stellen, denn die Figuren dort sollen ja möglichst lebensecht sein. Und lebensechter als tatsächlich lebendig geht ja gar nicht. Meinetwegen können die sich auch bewegen, das ist dann noch lebendiger.

Aber jetzt ist es so, dass da tatsächlich viele Kölnbesucher in den Hut der Nichtstuer Geld hinein schmeißen. Und wie reagieren die „Objekte“ darauf? Sie bewegen sich kurz, machen einen Knicks oder schütteln die Hand, bevor sie wieder in die Starre verfallen. Moment – man wirft Ihnen Geld zu und sie bewegen sich kurz? So viel, wie ich mich bewege, da müsste ich ja schon längst Millionär sein!

Eine kleine gute Nachricht gibt es. Auch die lebenden Objekte werden nächstes Jahr verdrängt, denn bald wird es nur noch eine Art Straßenmusiker geben: Mundharmonika-Spieler.

15 Kommentare

  1. dyfa

    Aus diesem Grund gibt es in München eine Art „Straßenmusikercasting“ bei der Abteilung der Stadt, die die Genehmigungen zum rumstehen und musizieren vergibt. Wer auf der Straße Musik machen will, muß da erstmal vorspielen und nur wenn die Darbietung gewissen Anforderungen genügt, wird die Erlaubnis erteilt. Eine Anforderungen ist übrigens auch ein Repertoire, was eine gewisse Anzahl unterschiedlicher Stücke beeinhaltet. Bislang find ich dieses Verfahren positiv, weil die Qualität der Straßenmusik unabhängig von der Stilrichtung passt. Die Panflöten-Typen findet man hier auch eher selten. (Oder ich komme an der Stelle nie vorbei…)
    Die lebenden Objekte find ich übrigens auch „ganz schlimm“ [tm]. Genauso wie Pantomimen, die hinter Passanten herlaufen und deren Gangart imitieren…

  2. birgit

    da hat jemand am montag, extra – das magazin geschaut 🙂

  3. ui.

    @dayfa: Das finde ich eine komplette doofe, dämliche, selbstherrliche, spießie, idiotische Idee.

    Erstens, finde ich es sowieso schon dämlich, dass man sich anmelden muss, um Straßenmusik zu machen und nicht einfach losspielen kann, wann und wo man will. Und dann auch noch der Stadt blechen muss. In was für einem restriktiven Land leben wir eigentlich? Irgendwann gehen noch Polizisten herum, die trafantrag stellen, falls jemand auf der Straße mal kurz pfeift, denn er war ja nicht beim Casting

    Zweitens, wer entscheidet denn bitteschön bei Musik was gut und schlecht ist? Dieter Bohlen? Irgendeine Jury? Das ist doch das Gute an Musik, dass es eben kein Wettbewerb ist, keine objektiven Kritierien hat.

    Ich finde nicht, dass man „Lebenden Objekten“ und „Andenmusikanten“ vom Staat her verbieten sollte, ihren Scheiß zu machen. Ich rege mich darüber auf, dass die Leute so dumm und geschmacklos sind, dort ihre Münzen hinein zu werfen.

    Wenn die Lebenden Objekte und die Andenmusiker kein Geld von den Passanten bekommen würden, würden sie es auch nicht tun. Ich rege mich ja nicht über die Künstler selbst auf, sondern über das Volk, das mittelmäßige Scheiße belohnt und Gutes ignoriert.

    Und diese Münchner Nazi-Scheiße brauch ich nicht. Mit den abgelehnten Straßenkünstlern machen sie dann eine Ausstellung „entartete Straßenkunst“?

  4. ui.

    @birgit: Was meinst du damit? Jemand hat bestimmt „extra – das magazin“ geschaut, ich schätze mal sogar Millionen. Ich allerdings nicht, so einen Billig-Journalismus tu ich mir nicht an. Aber wieso sagst Du das?

  5. Raine

    Bei extra kam neulich ein Beitrag dazu, wie in München Straßenmusiker „ausgewählt“ werden.

  6. ui.

    ach so. Ein kritischer Bericht oder nur ein Bericht?

  7. Raine

    Nur ein Bericht. Sie haben versucht, aufgrund dieses Mundharmonika-Spielers da, mit anderen geübten und nicht geübten Straßenmusikern Geld zu verdienen und wie viel das wäre etc.

  8. FrauvonWelt

    Also so straßenkünstlertechnisch würde ich noch nicht einmal zum Rumsteher taugen, ich müsste ständig lachen. Erst recht, werter Herr Wolff, wenn Sie vorbei kämen.

  9. ui.

    @Raine: Sag ich. Produzieren dumme SCheiße und schimpfen sich Journalisten. Was hat denn ein „Reportage-Magazin“ für eine Daseins-Berechtigung, wenn es nicht kritisch berichtet?

    @FrauvonWelt: Ich würde Dir dann auch was in den Hut schmeißen, wenn Du lachst.

  10. Raine

    Ja, das stimmt wohl.

  11. Forsch

    Ah, ah, ah! Sooo übel sind die „lebenden Figuren“ auch wieder nicht: Ich habe mal eine Fee gesehen, die für 10Cent eine echte Show abgezogen hat, mit wildem Zauberstabschwingen, Tücher wedeln, Tanzen und Silberkonfettiwerfen. War so lustig, dass sich die Blagen ihr Taschengeld in kleine Münzen tauschen ließen und das arme Mädel am Tanzen hielten ….

  12. ui.

    Also stand sie nicht still, oder?

  13. Forsch

    nach 10min wollte sie wohl gerne mal wieder (stillstehen) … aber sie hat das eisern durchgezogen – Respekt, sag ich da mal!
    Nach einiger Zeit durftze sie dann auch wieder stehen. Trotz der „Starre“ hat man ihr die Erleichterung angesehen.

  14. ui.

    Tja siehst Du, meine Rede, hätte die sich eine gescheite Nummer ausgedacht, hätte man vielleicht mit ihr gelacht, nicht über sie gelacht.

  15. Sliggs

    O ja, Ui, München ist eine verdammte Nazischeiße…

    Komisch, dass ich das entsprechende Dudel-Angebot in der Münchner Fussgängerzone (und an anderen Stellen der Stadt) trotzdem verhältnismäßig angenehm finde. Hat sich da am Ende im Rathaus eine Jury zusammengetan, die in etwa meinen eigenen Musikgeschmack diktiert? Eine Art unfreiwilliger diktatorischer Service zu meinen Gunsten? Es fällt mir tatsächlich schwer, diese musikalische Bevormundung der Bürger zu kritisieren, so unverständlich dies aus norddeutscher Sicht auch sein mag, noch dazu, weil ich solch selbstgerechte Zensur an anderen Stellen genauso verabscheue und bekämpfe. Wenn ich dann in anderen Städten die Stände der Plastik-Anden-Beschallung sehe, bleibt mir der Mund offen stehen: Wie tief sind die Söhne der Inkas und ihre durchaus passable Folklore-Musik gesunken! Das Ausmaß der musikalischen Umweltverschmutzung ist derart abgründig, dass ich mich mich sogar ungläubig umsehe: Wieso werden diese impertinenten Audio-Terroristen nicht einfach von den Passanten zum Teufel gejagt? Da bin ich doch fast wieder froh, dass es in München eine Behörde gibt, die diese musikalischen Schmutzfinken vor dem bajuwarischen Volkszorn in Schutz nimmt.

    Mir fällt übrigens auf: Die Leute hören auch bei guter Musik nicht hin. Sie hören überhaupt nicht hin.

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