Mein Artikel über den Suizid von Robert Enke entfachte in den Kommentaren große Diskussionen, die einen fanden den Artikel eine Frechheit, eine Unverschämtheit, andere fanden ihn genau richtig und wichtig. Nach anfänglichen wüsten Beschimpfungen von Fußballfans und anderen, gelang es, die Diskussionen zivil zu halten und es entwickelte sich eine anregendes, lehrreiches Gespräch mit auch selbst Betroffenen.
Eine dieser Betroffenen, selbst suizidal, nahm mit mir Kontakt auf und schilderte mir viele weitere Informationen. Weil jetzt durch Robert Enke Suizid und Depressionen ein Thema sind über das jeder eine Meinung hat, aber die wenigsten überhaupt das Wissen besitzen, um ihre Meinung zu begründen oder zu überdenken, habe ich sie gebeten, einen Gastartikel zu schreiben.
Ich finde den Artikel, auch wenn ich nicht in jedem Punkt übereinstimme, wichtig und spannend und absolut lesenswert. Nehmt Euch bitte die paar Minuten Zeit.
Gastartikel einer Suizidalen
Suizid ist, wenn einer sich umbringt
Dieses ist die Realität. Eine schlimme und folgenschwere Realität. Jedoch sind die Begriffe Suizid und Suizidalität nicht so einfach per Definition zu schildern, denn letztlich verbergen sich hinter diesen nackten Worten Menschen, Schicksale.
Ich bekomme die Gelegenheit, in diesem Blog Suizidalität von Seiten einer Suizidalen zu schildern, und zum einen bin ich dafür sehr dankbar, zum anderen hoffe ich, dass ich, insbesondere für andere Betroffene, diese komplexe Thematik näher bringen, erläutern, ja, vielleicht sogar etwas Verständnis hervorrufen kann.
Viele hier und anderweitig beginnen zu fragen, was sich wohl im Kopf eines Selbst“mörders“ abspielt. Die Silbe „mord“ lehne ich eigentlich ab, denn dieses kriminalisiert einen Suizidanten, und ich meine, so lange dieser Mensch keine anderen Menschen mit in den Tod reißt, begeht er keine kriminelle Tat. Es ist nicht leicht, so direkt an die Öffentlichkeit zu gehen vor dem Hintergrund der Befürchtung, dass eventuelle Beschimpfungen oder dergleichen hervorgerufen werden könnten. Jedoch gehe ich dieses Risiko gerne ein, nicht zuletzt um derer willen, welche wirklich ernsthaft wissen möchten, wie man denkt und fühlt, um anderer Suizidalen und um sowohl all der Hinterbliebenen als auch der Opfer willen. Mit Opfern meine ich Menschen wie die Lokführer, Fahrgäste oder Opfer von Geisterfahrern etc- Denn, auch wenn ich mich zum Suizid bekenne, ohne ihn heroisieren zu wollen, sehe ich durchaus ein, dass jeder, der mit erleben und jeder, der zurückbleiben muss, zum Opfer wird.
Ich selbst bin seit meiner Kindheit suizidal, beruhend auf Erlebnissen, welche ich niemandem wünsche, aber auch zurückzuführen auf unbeschreibliche Verlustängste. Suizidalität ist nicht ausschließlich als Phänomen von Depressionen zu verstehen, sondern ein sehr komplexes Thema. Ehrlich gesagt bin ich überrascht, positiv überrascht, dass nun Suizid in den Medien nach Robert Enkes Suizid so intensiv behandelt wird. Viele haben sich vorgenommen, sich mit den Menschen, ihren Schicksalen und allem was hierzu führen kann oder bereits geführt hat, zu befassen, wollen helfen. Dieses finde ich sehr lobenswert, und ich hoffe, dass diese Vorsätze nicht im Sande verlaufen ähnlich denen nach Amokläufen, nach welchen eine Zeit lang über Waffenverbote diskutiert wird, aber irgendwann entsteht das große Schweigen. Leider.
Nach wie vor bin ich selbst suizidal, beschäftige mich jedoch damit nun auch mit anderen Menschen, selbst Betroffenen und weiß von den meisten, dass, wenn man einmal suizidal ist und einen oder mehrere Versuche hinter sich hat, es auch so bleibt, bis es irgendwann funktioniert. Gänzlich verschwinden diese Gedanken nicht. Bei mir liegt zwar ein anderes „Krankheitsbild“ vor als bei Robert Enke, aber diese Symptomatik geht auch mit teils massiven depressiven Phasen und somit immer wieder kehrenden Suizidgedanken einher. Ich habe es nicht ganz geschafft, davon wegzukommen, aber was mir persönlich hilft, ist mein Glaube, und es sind Menschen, die ganz neutral einfach zuhören, wertungsfrei, vorurteilsfrei. Noch bis vor kurzem dachte ich, solche Menschen gäbe es nicht. Es gibt sie aber, und hierfür muss man dankbar sein. Mittlerweile bin ich selbst eine Plattform am gründen, das heißt, ich werde mich mit dem Thema Suizid auseinander setzen, und möchte hierbei sowohl Suizidalen als auch Hinterbliebenen Gelegenheit geben, sich auszutauschen, um gegenseitig vielleicht ein wenig mehr Verständnis aufbringen zu können. Ich will dieses Tabuthema gründlich hinterfragen, Informationen, Zahlen, und, vor allem, Schicksale zusammentragen.
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